Trauern kann ich nicht alleine
Letzte Woche ist meine Oma gestorben. Plötzlich – so seltsam das klingt bei einer Frau von 74 Jahren – ist meine unternehmungslustige, lebensfrohe und ja äußerst fitte Oma nicht mehr da. Ich höre die Nachricht … und fühle nichts. Ich kann nicht trauern, noch nicht einmal traurig sein. Und das liegt nicht daran, dass ich sie nicht geliebt habe oder dass ich ein emotionsloser Mensch bin.
Zwei Tage darauf höre ich, dass eine Freundin gestorben ist – 32 Jahre alt und damit jünger als ich. Wir haben uns nicht mehr oft gesehen und ich habe zudem ein schlechtes Gewissen, weil ich sie trotz ihrer schweren Krankheit nicht besucht habe. Dennoch geht mir ihr Tod nahe und ich muss an ihren Mann denken, mit dem ich viel Gutes aus meinen Anfangsjahren bei den Freaks in Berlin verbinde. Dennoch verspüre ich keine Trauer.
Eine Woche später schreibt mir eine Freundin, dass ihr bester Freund gestorben ist. Ihr zieht es den Boden unter den Füßen weg, so sehr erschüttert sie sein Tod. Ich kenne ihn nicht einmal, aber wenn ich die Trauer und den Schmerz meiner Freundin sehe, fühle ich mit ihr.
Ich merke, dass ich zwar alleine fröhlich und traurig sein kann, aber dass ich fürs Trauern ein Gegenüber brauche. Auf einer Beerdigung oder in Gesprächen trauere ich mit Angehörigen und Freunden, weil sich ihre Trauer in meiner Leere spiegelt, weil die geteilten Erinnerungen und Anekdoten verdeutlichen, was ich mit dem oder der Toten verbunden habe, was ich an ihm oder ihr geschätzt habe. Ich trauere, weil mir klar wird, dass ich ihn oder sie in dieser Welt nicht mehr sehen werde, dass keine Zeit mehr ist weder für Wertschätzung noch für eine Entschuldigung.
Heute ist Totensonntag und in Kirchen und Gemeinden denken die Menschen an diejenigen, die in diesem Jahr gestorben sind. Sie beten und bitten gemeinsam, sie teilen ihr Leid und ihre Trauer. Und auch ich kann mich mit dieser Gemeinschaft verbunden fühlen, mit ihnen trauern und Trost empfangen.
Das Gedenken hilft mir, mir neu bewusst zu machen, dass unser Leben endlich ist und dass wir Menschen so viel gemeinsam haben: Wir atmen die gleiche Luft, wandeln über die gleiche Erde, werden von der gleichen Sonne beschienen und werden genauso von Gott geliebt. Das macht mich achtsamer für meine Nächsten.
Danke Gott, dass ich diese Menschen kennen lernen und erleben durfte. Danke für die Zeit, die wir miteinander hatten. Danke Gott, dass du dich ihrer annehmen wirst, dass sie bei dir nicht mehr leiden müssen, sondern endlich heil sind.
Bettina