Nicht stornierbare Auszeit
Du möchtest dem Vorweihnachtsstress entkommen? Tine hat es dieses Jahr geschafft. Lies ihren etwas holprigen Weg dahin.
Inzwischen bin ich mir sicher, dass es eine dumme Idee war. Und zwar alles!
Ich quetsche mich in meinem kleinen Zimmer zwischen Minitrampolin und Wohnzimmertisch hindurch auf meinen Sessel. Mein Sessel. Neben der Küche die einzige Oase in unserer Wohnung, wo nicht das Chaos herrscht. (Ratet mal wer dieses Jahr nichts gebacken hat.) So hatte ich mir den Advent nicht vorgestellt.
Dieses Weihnachten sollte alles wunderschön sein und neu. Wunderbar dekoriert. Eine Wohnung voller Behaglichkeit und Wärme. Natürlich war es meinem Mann und mir klar gewesen, dass eine Renovierung im November einiges an zusätzlichen Kraftaufwand kosten würde – und das hatte es auch.
Aber nun ist längst Advent und die Wohnung ist bedeckt von Baustaub, der überhaupt nicht romantisch wirkt, schon gar nicht im unbarmherzigen Licht von Baustrahlern. Dabei wollten wir doch nur im Wohnzimmer ein klein wenig umräumen. Aber wenn wir schon dabei sind, könnte man ja auch das Schlafzimmer anders gestalten und endlich auch ein Arbeitszimmer einrichten … so nahm es seinen Lauf. Jetzt sind wir gerade dabei eine Wand aus Gipsplatten hochzuziehen. Es ist furchtbar.
Nur die Sitzfläche meines Sessels ist noch übrig, Insel der Glückseligkeit, auf der ich gerade hocke wie ein Affe auf dem Schleifstein. Aber dank meiner Aromalampe auf der Fensterbank riecht es in meinem vollgestopften Zimmer wenigstens nach Orange und Zimt. Besinnlichkeit … vielleicht wenn man die Augen zumacht und mit ein bisschen Fantasie …? … nein, nicht mal dann.
Und nun auch noch die Woche Ostseeurlaub. Ich könnte mich in den Hintern beißen, würde ich denn ran kommen. Mitte September war die Überlegung so logisch wie die Idee der längst überfälligen Renovierung: Bis Mitte Dezember durchpowern und dann eine gemeinsame Auszeit, bevor die Festtagsgottesdienste und die Familienbesuche (einmal Autobahn-Ping-Pong quer durch Deutschland) über einen hereinbrechen.
Die letzten Jahre ging mir kurz vor Weihnachten regelmäßig die Luft aus. Übermüdet und geschwächt zog ich mir eine Grippe zu, die sich teilweise bis Februar festsetzte und der nur mit härteren Medikamenten beizukommen war. Der Gatte kränkelte solidarisch mit, bzw. (wenn man mich fragt), schleppte die Keime teils schon länger mit sich herum, bevor sie dann bei mir ausbrachen.
Diesmal wollten wir klug sein. Motto: wenn man sich freie Zeit nicht einplant, passiert sie auch nicht. Also buchten wir kurzerhand ein Hotel für Mitte Dezember. Eine Woche nur mein Mann und ich, stürmische Strandspaziergänge, Bücher und Gespräche bei Kerzenschein. Eine Woche vor Weihnachten würden wird dann entspannt, immunsystemaktiv und gut gelaunt wieder zu Hause aufschlagen, um endlich einmal nicht überarbeitet und mit 39 Grad Fieber den Weihnachtgottesdienst besuchen. Soweit zur Theorie.
Doch jetzt sieht die Wohnung aus wie nach einem Bombeneinschlag. Eine Erkältung hat mich die letzten drei Tage mit Fieber flach liegen lassen (Gatte scheint diesmal unschuldig) und wenn ich daran denke, dass ich mich morgen ins Auto quetschen und eine Woche ans Meer fahren soll, könnte ich heulen – und nicht vor Glück. Dummerweise ist der Urlaub nicht kostenfrei stornierbar. Ich frage mich, ob ich sowas eigentlich mit Absicht mache.
Mein Blick schweift über die Möbel, die in meinem Zimmerchen stehen und doch gar nicht hier her gehören. Ich schließe die Augen, atme den Duft von Orange und Zimt und versuche mich weihnachtlich zu entspannen … nein, klappt wirklich nicht.
Das Meer klingt wild. Zumindest für die sonst eher zahme Ostsee. Es ist frisch und kalt und so dunkel, dass man die weißen Schaumkronen nur erahnen kann. Der Wind zerrt an meinem Anorak. Nach der langen Autofahrt dröhnt mein Kopf, aber die mit Salz und Sauerstoff angereicherte Luft tut gut. Ich wollte nicht her kommen. Doch nun merke ich, wie der Stress aus mir herausfließt. Ich atme, stemme mich gegen den Wind und setze einen Fuß vor den anderen.
Die Häuser hier sind schön geschmückt. Weihnachtlich. Nicht so wie meine Baustelle zu Hause. Am Ende der Woche wird der Weihnachtsmarkt eröffnen und Touristen anlocken, aber bis dahin dürfte es hier angenehm ruhig sein. Die Atmosphäre in den Lokalen ist fast familiär.
Jetzt kann ich nichts mehr tun. Ich bin einfach hier. Das Internet ist zu wackelig um viel damit anzufangen. Ich kann eure Kommentare lesen und freischalten aber damit endet es auch schon. Also akzeptiere ich die Passivität. Freue mich an euren Zeilen, freue mich an dem Adventskalender einer Freundin, der jeden Tag ein Bild und einen kleinen Satz beinhaltet. Freue mich an der Zeit, die ich plötzlich habe. An den Büchern, an den Gesprächen mit meinem Mann. An dem Adventsbibelleseplan, der mir zufällig vor die Füße geflattert ist.
Mein Leben ist so unperfekt wie dieser Advent. Aber gerade stört es mich nicht. Gerade greife ich nach dem was ich habe und muss erstaunt feststellen, wie viel das ist. Ich genieße diese Woche. Genieße es, dass ich atmen kann, meinen Gedanken nachhängen und mich dem leisen Suchen nach Gott im Advent zuwenden darf.
Der Text erschien zuerst auf Tines Blog: http://www.nurheute.net