Geduld, die Mauern sprengt

Geduld, die Mauern sprengt

Photo by Jacky Watt
Photo by Jacky Watt

Aus der flimmernd heißen Wüste schleppt ein Volk von Beduinen sich vor die hoch gebaute Festung Jerichos. Hat die mörderische Hitze diesen Wahnsinnswunsch geweckt, diese Mauer sei von ihnen zu stürmen? Einfach so? Solche Mauern kannten die meisten von ihnen gar nicht. Und doch hat das Volk von Jericho Angst. Es hatte seine Tore verschlossen. Etwas ging diesem Volk voraus, das sie aussperren wollten. Immerhin gab es ja noch die Hoffnung, dass die Mauern das Volk so sehr einschüchtern, dass sie von ihren Plänen ablassen.

Wir kennen Mauern von unterschiedlichster Art. Die Chancen für die Zukunft scheinen verbaut, beruflich gibt es kein Vor und kein Zurück, die Ehe ist festgefahren, Beziehungen wollen nicht heil werden, Kinder geraten auf die schiefe Bahn. Und Haltungen und Herzen sind oft härter, als der Stein. Und dann beginnen wir oder unsere Freunde vor diesen Mauern im Gebet hin und her zu ziehen. Und jahrelang passiert gar nichts.

Gott gab Josua die Verheißung: „Die Stadtmauern [werden] zusammenbrechen, und das Volk kann geradewegs in die Stadt eindringen“ (Jos 6,5 NLB). Und hat Gott nicht auch uns verheißen, dass er „uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus!“ (1Kor 15,57 Elb)? Und doch haben wir Zweifel daran, wenn wir nicht sehen, dass etwas geschieht. Wenn man Bauarbeiter beschäftigt und nach sechs Tagen nicht sieht, dass die Mauer gewachsen ist, kündigt man den Bauarbeiten, und das mit Recht. Wir wollen doch Evidenz des Fortschritts sehen. Und wenn man andersherum sechs Tage eine Mauer umschreitet, damit sie am siebten Tage schließlich einstürzt, kann man doch wenigstens erwarten, erste Risse zu erkennen.

Was wirklich geschah

Eine Wissenschaftssendung (deren Name der geneigte Leser vielleicht am Grad ihrer Wissenschaftlichkeit erraten kann) hat in einem Experiment die Mauer Jerichos in Größe und Stärke nachgebaut und mit verschiedenen Methoden von Schall und Vibration versucht, ihren Einsturz zu provozieren. Das Fehlen eines jeden Effektes auf die Mauer deutete die Sendung als Beweis für einen Irrtum der Bibel an dieser Stelle. Kein natürliches Ereignis hätte diesen Mauerfall so bewirken können. Was wir dieser wissenschaftlichen Erkenntnis aber eigentlich abgewinnen sollten ist, dass es sich eben um ein übernatürliches Ereignis gehandelt haben muss. Etwas, das nicht im direkten Zusammenhang mit dem Vorgehen des Volkes Israel steht.

Sechs Tage lang zieht das gesamte Volk um die Stadtmauer. Die spätere griechische Übersetzung des Alten Testamentes, die Septuaginta, denkt bei ihrer Übersetzung militärisch und betont nur die Aufgaben der Kriegsleute. Der Urtext aber spricht von dem ganzen Volk, das völlig unmilitärisch aufgestellt ist. Man liest nicht einmal von den Waffen der Kriegsleute. Aber jeder hat seine Position und gehört zu dieser Prozession dazu. Vorneweg geht das Kriegsvolk. Hinter ihnen kommen die sieben Priester und blasen die sieben Posaunen. Dahinter trägt man die Bundeslade, das Zeichen der „Gegenwart des Herrn“ (Jos 6,8 NLB). Und dahinter schreitet das gesamte Volk, wenn man den Text genau nimmt. Die Alten Männer, die Frauen und die Kinder. Jeder militärische Charakter ist verflogen. Die Kriegsleute sind ebenso nur Statisten, wie das übrige Volk und doch spielen sie alle eine entscheidende Rolle. Aber zu welchem Zweck? Eine Kriegslist? Ein Ablenkungsmanöver? Für die Wachposten an den Zinnen der Mauer Jerichos in jedem Fall ein Rätsel.

Für das umrundende Volk aber wird ihr Handeln nicht weniger Rätsel aufgeworfen haben. Nur haben sie einen Vorteil. Sie kennen die Bildebene. Die sieben Priester blasen nicht irgendwelche Posaunen, sondern Widderhörner. Das Schofar ist Gottes Instrument, es preist ihn nicht nur, es verkündet sein Tun (2Mo 19,16; Ps 150,3) und das Kommen des Königs. Gleichzeitig ruft es sowohl die Krieger zur Schlacht zusammen, als auch verkündet es den Sieg, als Friedenssignal. Diese Prozession führt zu beidem, zur Schlacht und zum Frieden. Gott steht im Mittelpunkt dieser Prozession und führt sein Volk gleichsam dorthin. Es ist der siebte Tag, der Sabbat, der Tag der Ruhe. Darum geht es.

Und warum zieht das Volk nun insgesamt zwölf Mal um die Stadt herum, ohne den geringsten Unterschied bei der Stadtmauer wahrzunehmen? Weil in diesem Umzug nicht die Stadtmauer von Bedeutung ist! In jeder Runde kann sich das Volk davon überzeugen, dass immer noch nichts an der Mauer geschehen ist. Als dann in der siebten Runde des siebten Tages die Mauer einfach fällt und in sich zusammenstürzt, muss jeder von ihnen Zweifels ohne bezeugen, dies muss das Wirken Gottes gewesen sein. Aber dafür hätte Gott doch nur eine Extrarunde einplanen können. Immerhin, Gott schickt nicht nur einen Gutachter, dessen Einschätzung dann alle vertrauen müssen. Jeder im Volk darf sich selbst überzeugen. Aber Gott macht mit seinen Kindern hier noch weit mehr.

Vertrauensvolle Geduld

Wenn wir vor Mauern im Gebet umherziehen, fragen wir entweder Gott, warum er nichts tut oder was wir wohl falsch machen. Die Antwort Gottes darauf wäre, wenn er sie uns direkt geben würde, verblüffend. „Herr, was machen wir falsch?“ „Gar nichts macht ihr falsch!“ „Aber es tut sich doch nichts.“ „Das hat doch damit nichts zu tun.“ „Und was sollen wir jetzt machen?“ „Weiter sollt ihr machen!“

Vielleicht greifen wir, anstatt zu beten, auch zu anderen Mitteln. Wen würde es wundern, wenn das Volk Israel am siebten Morgen vor Josua stand und gesagt hätte: „Wir finden, du hast viel Ausdauer, aber wir hätten doch lieber einen militärischen Anführer.“ Wir wollen etwas tun, das mit der Sache direkt zusammenhängt. Ansonsten wäre unsere Rolle ja völlig unbedeutend. Und doch muss jedem in der Prozession früher oder später genau das aufgegangen sein. Es geht eigentlich hier nicht um mich. Der Krieger vorneweg begreift, er kündigt nur die Bundeslade an. Er gibt ihr nur die gebührende Ehre. Seine Kriegskunst steht der des Herrn weit nach. Die Priester verstehen, dass sie hier nicht im Krieg sind, sondern dies ein religiöser Akt ist. Ein Akt, der die Religion praktisch werden lässt. Und jedem Menschen im Volk wird immer mehr klar, dass sie nicht zu kämpfen brauchen (was die meisten erleichtert haben dürfte), sondern sie zu dem gehören, der für sie kämpft. Das hat Gott schon am Roten Meer getan und ihnen gesagt: „Der HERR wird für euch kämpfen, ihr aber werdet still sein“ (2Mo 14,14).

Diese Zeiten schenkt Gott uns, um uns „im unbedingten Glauben und geduldigen Vertrauen auf die Macht und Zusage Gottes zu üben“1. Alleine diese Macht hat es geschafft, die Mauern zu zerstören. Von diesem Gott alleine sollen wir danach bezeugen, er hat Großes getan! Was in diesen Zeiten an den Mauern ausbleibt, passiert dafür umso mehr in den Herzen derjenigen, die nicht müde werden, über Gott nachzudenken. Manchmal lassen wir uns einreden, unser Gebet könnte falsch sein. Wir hätten nicht die richtige Form gewählt, um Gott zu überzeugen oder überhaupt gehört zu werden, so wie eine Bewerbungsmappe, die gar nicht erst gelesen wird, weil sie vorne drauf einen Rächtschreibfehler hat. Dann denken wir, wir müssten jeden Zweifel einmal wenigstens für ein paar Sekunden aus dem Sinn vertreiben, damit es zumindest nach ungetrübtem Glauben aussieht und Gott es bewilligt. Wir erlauben uns in Folge dessen auch nicht, Gott zu hinterfragen. Wir bleiben ganz bei uns und verharren in der Annahme, dass es mal wieder an uns liegt. Da, wo ich mir erlaube, Gott zu hinterfragen, kann ich wirklich anfangen, seinen Standpunkt zu sehen. Solange ich mir nicht eingestehe, dass ich auf mein Können und Tun vertraue, täusche ich mich selbst (Vgl. 1Joh 1,8). Ich werde vordergründig Gottes Macht proklamieren und heimlich davon ausgehen, dass es aber meine Gebetsfertigkeit war, die Gottes Macht wirken lässt. (Alleine schon, weil ich „proklamieren“ sage und nicht einfach „verkündigen“.)

Weiß Paulus etwa nicht, was er redet, wenn er schreibt: „Denn wir wissen ja nicht einmal, worum oder wie wir beten sollen. Doch der Heilige Geist betet für uns mit einem Seufzen, das sich nicht in Worte fassen lässt“ (Röm 8,26 NLB)?

„Es ist besser, geduldig zu sein als mächtig; es ist besser, Selbstbeherrschung zu besitzen, als eine Stadt zu erobern“ (Spr 16,32). Wie gut, dass nämlich genau diese Geduld am Ende dazu führt, dass Gott die Stadt für uns erobert. Gott will uns in seine Ruhe führen. Dazu ist Jesus gekommen, dass er uns seinen Frieden gibt, wie ihn die Welt nicht geben kann (Vgl. Joh 14,27). Er verlangt nicht von uns ein Kriegsgeschrei, das Mauern zum Einsturz bringt. Er befähigt uns zu Jubelgeschrei, voller Dankbarkeit und Staunen, noch bevor die Mauer sichtbar nachgegeben hat. Ihm allein sei Ehre!

Daniel Riediger ist 34, Lehrer an einer christlichen Privatschule in Niedersachsen und engagiert sich im Predigtdienst und in der Jugendarbeit der EfG-Herford.

1 Holland, Martin; in: Wuppertaler Studienbibel, Das Buch Josua, Wuppertal 1993, S.85.

Fragen zum Nachdenken:

Wo im Alltag erlebst du Frust als Nachfolger Jesu?

In welchen Situationen reißt dein „Geduldsfaden“?

Hoffst du noch darauf, dass Gott deine Gebete erhört oder denkst du, dass es im Endeffekt egal ist, ob du betest oder nicht?

Welche „Mauer“ könnte für die Macht Gottes zu dick sein?

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