17. Dezember *Sunday Sermon*: Die alte Laika
Heute gibt es anstelle einer Predigt eine etwas andere Weihnachtsgeschichte zum Selberlesen oder Vorlesen.
Laika schreckt zusammen. Sie war schon immer ein wenig schreckhaft. Und laute Stimmen mag sie gar nicht leiden. „Das Gehör von Eseln ist eben sehr empfindlich.“, denkt sie sich. „Das ist anders als bei den Menschen.“ Sie versenkt ihr weiches Maul wieder in dem duftenden Stroh. Da ertönt erneut ein Schrei. Laika schreckt wieder hoch. „Was ist heute nur los?“, denkt sie sich. Ob etwas schlimmes passiert ist? Menschen schreien, wenn etwas passiert ist. Das machen sie wie die Esel. Darin sind sie klug. Doch es war kein Angstschrei und auch keiner, weil jemand Schmerzen hat. Das weiß Laika, denn sie ist schon ein erfahrener Esel und kennt die Menschen gut.
Nun wird sie doch neugierig. Sie tritt an die Stalltür, die seit einiger Zeit immer offen steht. Das Schloss der Tür hält nicht mehr. Früher hätte Simon es repariert. Simon, das ist Laikas Mensch und es ist ein sehr fleißiger und guter Mensch. Aber seitdem seine Frau Hannah nicht mehr da ist, macht Simon nur noch wenig. Er hat keine Hoffnung mehr, hat Laika die Nachbarn sagen hören. „Menschen hängen eben sehr an ihrem Partner.“, denkt Laika. „Auch darin sind sie uns Eseln ähnlich.“
Laika schaut auf die Straße hinaus, in die Richtung, aus der die Rufe kommen. Es sind verschiedene Stimmen. Laute, jauchzende, singende und raue Männerstimmen. Ein paar davon glaubt sie zu kennen. Das sind die Männer vom Feld, die Männer, die auf die Herden aufpassen. Ab und zu war Laika schon dort auf dem Feld. Wenn die Männer Brot von Simon gekauft haben und sie Simon geholfen hat die schweren Brotlaibe zu tragen. Tragen kann Laika nämlich fast so gut wie Hören.
Laika weiß, dass Hirten gerne singen und gerne laut sind. Sie glaubt, dass Hirten die lautesten Menschen von allen sind. Vor allem Abends am Feuer. Und wenn Hirten dann noch zu viel vom dem komischen roten Wasser trinken, dann werden sie so laut, dass wahrscheinlich sogar die Esel in Jerusalem sie noch hören können.
Aber diesmal klingt das Singen der Hirten anders. Es ist nicht so derb wie sonst. Es klingt…irgendwie glücklich. Übermütig. „Fast so wie junge Esel klingen, wenn sie entdecken, dass sie springen können.“, denkt Laika.
„Simon hat schon lange nicht mehr gesungen.“, denkt Laika. „Seit seine Frau Hannah gestorben ist, hat Simon nicht mehr gesungen.“
Die Stimmen werden lauter und schließlich kann Laika die Umrisse der Gruppe erkennen. Leider nicht so gut, denn Laika ist schon alt und ihre Augen sind schwach geworden. Aber Laika kann spüren. Esel haben ein sehr feines Gespür. Und sie spürt, dass diese Männer glücklich sind. „Die sind viel glücklicher, als Menschen normalerweise sind.“, stellt Laika fest.
Die Gruppe zieht vorbei und Laika sieht ihnen nachdenklich hinterher. Die Neugier hat sie gepackt. „Was“, denkt sie sich, „ist wohl in der Lage Menschen so glücklich zu machen?“
Laika beschließt der Sache auf den Grund zu gehen. Mit ihrem großen Kopf, drückt sie die Stalltür ganz auf und tritt hinaus auf die Straße. Vorsichtig schaut sie noch einmal durch das Fenster vom Haus. Simon schläft tief und fest. Er hat die laut jubelnden Hirten nicht gehört. Aber er ist ja auch ein Mensch.
Und dann geht der alte Esel Laika die Straße hinunter, dorthin, von wo die Hirten gekommen sind und wo es jetzt sehr still ist. Dort, am Ortsende kommt nicht mehr viel. Da stehen nur noch ein paar alte Häuser und es gibt einige Ställe. Vorsichtig, um nicht über Steine zu stolpern, trottet Laika den Weg entlang. Sie kommt an den alten Häusern vorbei, an den Ställen und an ein paar Obstbäumen. Da hängen leckere Früchte dran. Von denen darf sie aber nicht naschen, kein Esel darf das. Die gehören den Menschen. Aber ab und zu hat Simon ihr etwas von den süßen Früchten zugesteckt.
Laika ist schon am Ortsende und will fast umkehren, als sie im hintersten Stall ein Licht brennen sieht. Ein Licht im Stall? Um diese Zeit? Dort wohnt doch nur Ferdi, der Ochse. Wieso hat der Licht? Laika tritt näher heran.
Ferdi ist nicht allein. Da sind Menschen bei ihm. Ein Mann und eine Frau. Und ein kleines Menschenkind. Und als sie dieses Kind mit ihren alten Augen sieht, weiß sie plötzlich, was mit den Hirten passiert ist.
Laika kann ihren Blick nicht von diesem Kind abwenden. Wie es da liegt, in dem duftenden Stroh. Es riecht anders, als Menschen riechen. Es riecht nach … Nähe. Es riecht danach zu Singen und zu Tanzen. Es riecht so, wie sich die Hirten angehört haben. Schnuppernd und horchend und schauend und fühlend tritt Laika näher. Das kleine Menschenkind schläft. Laika spürt, dass hier etwas Neues passiert. Etwas, das alles verändern wird.
Sie spürt etwas von der uralten Kraft, von der ihr ihr Großvater immer erzählt hat. Von der Kraft Gottes, der alles gemacht hat. Den Himmel und das duftende Heu und die süßen Früchte und die Esel und auch die Menschen. Diese Kraft ist in dem Kind. In diesem Kind schlummern die alten Geschichten. Laika spürt es. Esel spüren so etwas. Lange schaut Laika das kleine Menschenkind an. Ganz nah ran gehen muss sie, mit ihren schwachen Augen.
Und dann weiß Laika, was zu tun ist. Sie muss es ihrem Menschen zeigen. Sie muss es Simon zeigen. Simon muss erfahren, was hier passiert ist. Jeder muss es erfahren. Hier in dieser Krippe, im Stall von Ferdi, in diesem Kind, liegt die Hoffnung.
Tine aus der Nähe von Stuttgart
Die Geschichte erschien zunächst auf Tines Blog: www.nurheute.net