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Von Hobbits, Kirchenfenstern und Nazis (5/18)

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Eine Abrechnung mit mir und meinem Disney-Komplex

»Jesus hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.« 2. Korinther 12,9 (Übersetzung: Luther 1984)

»Mittelerde ist in Gefahr.«

So begann die erste Predigt, die ich in meinem Vikariat hielt. Sie war perfekt vorbereitet, voller guter Beispiele und Bilder, die alle nur eines beschreiben wollten: Wie unglaublich schön Gottes Zusage an Paulus ist, dass seine Kraft in den Schwachen mächtig sei. Welch wohlig, warmes Bauchgefühl wir damals alle hatten – ich, mein Ausbildungspfarrer und die Menschen der Gemeinde, die mit der jungen Vikarin mitfieberten. Nur eines der Bilder war der kleine unterschätzte Hobbit, der mit Freundschaft die Macht des Bösen besiegt. Was für ein gutes Bild …

… und wie realitätsfern!

So würde ich es meinem damaligen Ich gerne zurufen. Ach, schöne Worte und Bilder kannst du finden, aber hast du wirklich eine Ahnung, was es heißt, schwach zu sein? Weißt du, wie sehr das weh tut, wie wenig Heldenhaftes dahintersteckt und vor allem, wie wenig Siegesgefühl, wenn man schwach ist? Wirklich schwach sein tut weh, fühlt sich sinnlos an, lässt dich an allem zweifeln, vor allem an dir selbst. Alle und alles sind gemein zu dir. Das Leben ist unfair und sowieso ist die Situation immer ungerecht. Es ist nicht so, dass mein damaliges Ich nicht auch schon seine Kämpfe gekämpft hätte. Ich hatte genug Momente in meinem Leben gehabt, in denen ich an meine Grenzen geführt wurde. Es ist ebenfalls nicht so, dass die Predigt damals nicht gut und für die Gemeinde sogar passend war. Es ist auch nicht so, dass ich inzwischen ein Problem mit den literarischen Geschichten hätte, die meiner Generation helfen, ihr Leben zu deuten und zu denen der »Herr der Ringe« sicherlich zählen darf.

Was nicht umbringt, härtet ab?

Mein Problem ist die rosarote Disneybrille, die mich immer wieder zwingt, allem ein Happy End zu geben. Wir haben es verlernt, Widersprüche auszuhalten, zu streiten, zu vergeben, mit offenen Enden zu leben. Es muss sich am Ende gut anfühlen – was auch immer das heißt. Auch und vielleicht gerade in Kirche und Gemeinde ist das so. Da wird jede Leidenszeit zu einer Lehre, die mir am Ende irgendetwas sagen muss, oder mich prägt für meine Zukunft. »Was nicht umbringt, härtet ab!« Wirklich? Nach zwei sehr schmerzhaften und konfliktbeladenen Stellen- und damit Gemeindewechseln fällt es mir schwer, in all dieser Schwäche, in all meinem Groll, meinem Gefühl der Unfähigkeit, meiner Unsicherheit im Umgang mit Menschen, meiner Hilflosigkeit, meiner Angst, das Leben nicht zu meistern, wirklich Gotte Kraft sehen und benennen zu können. Nein, es ist nicht gut, dass ich und viele andere Menschen jetzt verletzt sind. Nein, ich habe nichts Weltbewegendes gelernt, was ich jetzt grundlegend anders mache. Ich bin ein anderer Mensch, aber nicht wirklich ein besserer, an manchen Stellen sogar verbittert und verunsichert. Ja, ich hätte auf diese Erfahrungen gut und gerne verzichten können! Gottes Kraft hat da nirgends geleuchtet.

Ich will durchlässig sein für Gottes Kraft

Aber wäre es dann überhaupt noch Gottes Kraft? Bin ich dann nicht schon wieder dabei, Gottes Kraft zu meiner Kraft zu machen? Ein weiteres Bild meiner Predigt damals war das Fenster der Kirche hinter dem Altar, das in Kreuzform bei einem geschickten Sonnenlichtwinkel den grauen Betonklotz aus den 60ern zum Leuchten brachte. Wie ein buntes Glasfenster muss ich durchsichtig sein für Gottes Licht, das durch mich Farbe ins Leben bringt. Das Glasfenster bleibt dabei durchlässig, also schwach, hilflos, manchmal auch einfach tollpatschig und unsympathisch. Und ich will nicht wissen, wie viel das Fenster von der bunten Herrlichkeit wahrnimmt, die das Licht durch es hindurch fabriziert. Beitragen zu der Farbenpracht tut es wenig. Nachts und an schattigen Tagen ist auch das Fenster recht belanglos. Ich will durchlässig sein für Gottes Kraft. Auch wenn das bedeutet, vorläufig auf mein Disney-Happy-End zu verzichten.

Die Liebe Jesu – vollendet in der Schwachheit

Liebes Vikariats-Ich, auch ich leide weiterhin unter unserem Disney-Komplex. Deshalb kommt hier noch eine schöne Geschichte. So stand ich neulich in Apolda auf dem Marktplatz einer Meute von Glatzköpfen gegenüber. In meiner Hand eine Kerze. Auf meinen Lippen ein Lied:

»Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht’ mich nicht.«

In dem Moment war die Furcht tatsächlich nicht so groß. Und kurz dachte ich, dass wir nur genug Kerzen anzünden müssten, um die Politik in unserem Land zu verändern. Ich war begeistert von den Menschen, die versuchten, zwischen all den lauten Pfeifen – auch auf unserer Seite – eine schwache Form des Protestes zu leben, die doch so viel Stärke zeigte. Aber schon auf dem Weg zum Auto wurde mir wieder mulmig. Was, wenn mir hier jetzt ein Pulk von denen über den Weg läuft und die nicht gut drauf sind? Erst recht in den Tagen danach, in denen ich die Berichterstattung und vor allem die Kommentare dazu las. Das ist okay, liebes Vikariats-Ich. Denn nicht wir müssen die Welt retten. Auch wenn ich deinen Lebensfilm jetzt spoiler: Das Happy End kommt – egal, wie wir uns schlagen. Aber der Autor des Skriptes heißt nicht Disney und das ist gut.

Liebes Vikariats-Ich, du hattest ja auch noch nicht die LutherÜbersetzung von 2017:

»Jesus hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.« 2. Korinther 12,9

Anna Böck ist Kreisjugendpfarrerin in und um Suhl. Da Pfarrer nicht schwach sein dürfen, ist sie natürlich jeder Lebenslage gewachsen.

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Photo by Joey Nicotra on Unsplash

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