Und dennoch pflanze ich einen Garten (5/19)
Leben als Third Culture Kid
Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Kroatien, für das Studium wieder nach Deutschland gezogen, in 21 Jahren 7 mal umgezogen und noch einige kürzere Stationen dazwischen durchlaufen – ich kenne das Gefühl der Heimatlosigkeit sehr gut. Für sogenannte „third culture kids“ ist es typisch, dass sie sich nirgendwo ganz zugehörig fühlen. Und auch als ich vor zwei Jahren für mein Studium nach Rostock zog war von Anfang an recht klar, dass es auch hier wieder nur bei 3 Jahren bleiben würde.
Um ehrlich zu sein kamen mir schon vor meiner Ankunft in Deutschland Gedanken wie „Ich bin ja eh nur für 3 Jahre hier – lohnt es sich dann überhaupt, mich hier einzurichten und zu investieren? Werde ich mich hier jemals wohlfühlen können?“ Plötzlich beneidet man die Menschen, die ihr ganzes Leben an einem Ort gelebt haben, ein geregeltes Leben führen und die Familie in der Nähe haben. Doch auch hier in Deutschland begegnete ich vielen Menschen, die sich nach einem aufregenden Auslandsjahr und nun an einem fremden Studienort angekommen schwer taten, sich ganz niederzulassen, sich zurecht zu finden in einem Gewirr an Erfahrungen, Möglichkeiten, Zukunftsplänen, Reisen und Lebensstationen.
Wurzeln schlagen
Eines Tages las ich in der Bibel eine Geschichte, die meine Sichtweise vollständig umkrempelte. Dort befand sich das jüdische Volk in einer Situation, die meiner nicht ganz unähnlich war. Weit weg von ihrem geliebten Land lebten sie in der ihnen fremden Stadt Babylon. Da schreibt der Prophet Jeremia folgenden Brief an das in Verbannung lebende jüdische Volk:
„Baut euch Häuser und richtet euch darin ein! Legt euch Gärten an! Seid um das Wohl der Städte besorgt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie! Denn wenn es ihnen gut geht, dann geht es auch euch gut.“ (Jeremia 29,5-7)
Hier ist keine Rede von „Betet, dass ihr so schnell wie möglich wieder aus diesem Loch rauskommt!“ Nein. „Lasst euch nieder und seid dieser Stadt ein Segen“ richtet Gott seinem Volk aus. So ließ ich Gott nach und nach meine Sichtweise verändern – und erlebte so einiges Erstaunliches!
Letzten Sommer kam mir ein verrückter Gedanke: Warum die Bibel nicht wörtlich nehmen und einen Garten anlegen? Ich wusste, schon nächsten Sommer werde ich wahrscheinlich nicht mehr in Rostock sein. Und dennoch entschied ich mich, einen Garten anzupflanzen. Ich erbat mir die Erlaubnis von meiner Wohnungsgenossenschaft, ein Beet im Hinterhof mit Kräutern zu bepflanzen. Die Idee dahinter war, dass sowohl die Nachbarschaft als auch die umherschwirrenden Insekten einen Nutzen aus den blühenden Küchenkräutern ziehen sollten.
Und aus dem einfachen Akt des Gärtnerns wurde eine neue geistliche Haltung: Ich bin hier, wo Gott mich gerade gepflanzt hat und bin anderen ein Segen, wo auch immer ich kann. So entschied ich mich, auch oder gerade in dieser kurzen Zeit, festes Mitglied in einer lokalen Gemeinde zu werden. Ich stieg in die Pfadfinderarbeit ein, auch wenn es „nur“ drei Jahre sein sollten, die ich darin investiere. Ich machte meine Wohnung zum gemütlichsten Ort der Welt und lud Leute zu mir ein. Ich las die Geschichte der Stadt nach. Ich lernte die Menschen hier kennen. Und plötzlich bin ich stolz, Rostockerin zu sein!
Interessanterweise hatte auch Jesus ziemlich genau drei Jahre Zeit für seine weltbewegende Mission. Das mit dem Weltretten überlasse ich gerne Jesus. Aber ich kann ihn nachahmen in seiner Art, wie er auf der Erde lebte. Jesus war nicht den ganzen Tag damit beschäftigt, Predigten zu halten und Menschen zu heilen. Er verbrachte täglich viele Stunden damit, einfach mit Gott zu reden. Oft treffen wir ihn beim gemeinsamen Essen mit Freunden oder beim Feiern an. Wo er auch ging, hinterließ er Spuren des Segens für alle um sich herum.
Das „Touristen-Syndrom“
Beim letzten „Urlaub“ in Kroatien fiel mir auch ein weiterer Aspekt dieser Wurzellosigkeit auf, die sich, wie ich meine, in unsere Gesellschaft eingeschlichen hat. Ich befand mich auf einer traumhaften Insel, umgeben von türkisblauem Meer und bewaldet mit duftenden, leuchtend grünen Kiefern. Am Strand fielen mir die vielen leeren Bierdosen und Plastikbecher auf. „Klar, mit einem Ort, zu dem man nicht wirklich gehört, braucht man auch nicht so achtsam umzugehen. In ein paar Tagen ist man ja schon wieder weg.“ Ich nenne es das „Touristen-Syndrom“: Wenn wir keine wahre, tiefere Beziehung zu einem Ort haben, dann ist es uns auch nicht so wichtig, was mit den Menschen und der Umwelt dort geschieht. Was uns nicht gehört, das halten wir auch nicht so in Ehren wie unser Eigentum.
Kann es sein, dass sich diese innere Haltung ein Stück weit auch auf unser alltägliches Leben ausgeweitet hat? Wir leben in einer Wegwerf-Gesellschaft, in einer Kultur, die sich nicht gerne festlegt und bindet. Wenn wir ehrlich sind, ist es nicht schwer, uns auch selber in dieser Haltung zu erkennen – mich selbst eingeschlossen. Wieso das Klima schützen, wenn mich die negativen Folgen des Klimawandels ja nicht mehr treffen werden? Wozu sich Sorgen machen um die bedrohte Vogelwelt? Schön, dass es Menschen gibt, die sich auch um so etwas kümmern, aber mich müssen solche Dinge nicht beschäftigen. Warum in „Weltliches“ investieren, wenn Gott uns eines Tages sowieso zu sich in den Himmel holen wird? Lohnt es sich, meine Zeit an Beziehungen, an Menschen zu „verschwenden“, von denen ich keinen Nutzen habe? Wer keine tiefe Beziehung zu einem Ort und den Menschen hat, dem ist ihr Wohlergehen egal. Das hat soziale wie auch ökologische Konsequenzen!
Es gibt einen sehr treffenden Bibelvers, der die Dinge wieder in die richtige Perspektive rückt. Da sagt Gott zu den Israeliten „…ihr seid bei mir wie Gäste, denen das Land nur zur Nutzung überlassen wurde.“
Wir sind Gäste in Gottes wunderschöner Welt. Wir dürfen ihren Reichtum genießen. Aber Gott hat uns auch die Verantwortung gegeben, den „Garten zu pflegen und zu schützen“ (siehe 1. Mose 2,15). Er hat sich entschieden, uns hier „einzupflanzen“, damit wir dort, wo wir sind, ein Segen sein können, in jedem Bereich des Lebens.
Alltagsheld Jesus
Auch hier ist Jesus uns ein wunderbares Vorbild (siehe dazu Matthäus 14, 13-21). Er hatte tiefes Mitleid mit den Menschen um sich herum, ließ sich bewegen von ihren Schicksalen. Gleichzeitig wusste er auch, wann es Zeit war, sich zurückzuziehen und in der Einsamkeit, bei Gott, zur Ruhe zu kommen. Er kannte die Kultur seines Umfeldes, war tief in ihr verwurzelt. Er las die heiligen Schriften und diskutierte gerne mit den jüdischen Gesetzeslehrern, grenzte sich in strittigen Fragen aber auch klar ab. Jesus hatte gute Freunde, mit denen er immer wieder Zeit verbrachte (wie zum Beispiel Maria, Marta und Lazarus). Er konnte feiern und Gottes gute Gaben dankbar genießen. Doch verschwendete er nichts davon. Als nach der Speisung der 5000 noch Essensreste übrig blieben, ordnete er seinen Jüngern an, diese einzusammeln. Mit seinem Leben zeigt Jesus, was es heißt verwurzelt zu leben, und gleichzeitig mit den Augen des Himmels.
Dann können wir mit Stolz sagen: Wir sind ganz Himmelsbürger, aber wir sind auch ganz Erdenbürger. Wir bringen ein Stück Himmel auf die Erde, in dem wir tiefe Wurzeln schlagen wo Gott uns gepflanzt hat: durch Beziehungen vor Ort, durch Sorge für Gottes Schöpfung, durch geerdetes Gottvertrauen und durch unseren segensreichen Einfluss an gerade diesem Ort.
Und wenn Gott mich dann doch wieder umpflanzen sollte, schlage ich eben wieder neue, tiefe Wurzeln. Denn das Grundwasser – Gottes Gegenwart – ist gleich an jedem Punkt der Erde. Dann sind wir, wie der Psalmist so schön sagt, wie „ein Baum, der am Wasser steht; Jahr für Jahr trägt er Frucht, sein Laub bleibt grün und frisch.“
Naomi Bosch hat es letzten Sommer sehr genossen, zum ersten Mal auf dem Freakstock zu sein und gleich Teil der „Wald- und Wiesenkathedrale“ sein zu dürfen. Sie studiert Agrarwissenschaften und schreibt leidenschaftlich gern auf ihrem Blog www.plentiful-lands.com.
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