Ein erfüllender Lohn

Zwei Jungen veranstalten eine Kissenschlacht. Silvester feiern im Kinderheim ist ein besonderes Erlebnis.Vor 10 Jahren hätte ich wie die meisten, mit denen man sich über Pflege unterhält, geantwortet: „Ich habe ein Riesen-Respekt vor der Arbeit, aber ich könnte das nicht!“ Natürlich auch, weil man an den Feiertagen arbeiten muss, bei denen man sonst bei der Familie ist.

Über die ehrenamtliche Arbeit in einem Kinderheim für schwerst- und mehrfachbehinderte Kinder, wo ich nach und nach in die Pflege eingebunden wurde, kam ich dem Wunsch näher mein Geld in diesem Gebiet zu verdienen.

Ich verbrachte in dem Kinderheim ein wahnsinnig erfüllendes Silvester. Man muss sich nur vorstellen, dass hinter dem Ortsschild unserer Stadt für die Kinder die große weite Welt beginnt und so machte es einen Riesenspaß den Kids Bräuche wie Bleigießen zu erklären und den gesamten Wohnbereich zu verwüsten. Da ich „Nachtbereitschaft“ hatte, hatte ich viel Zeit allen Kindern ein unvergessliches Silvester zu bereiten. Eine verpasste Silvesterparty bei Freunden war dann bald kein Thema mehr.

Nach reiflicher Überlegung kam ich in die Altenpflege. Hier sind Personalmangel und körperliche Arbeit eine Begleiterscheinung, die an den Feiertagen nicht ausbleibt. Dennoch ist es so, dass über Weihnachten einige fittere Bewohner zu ihren Familien nach Hause gehen. So bleibt für das Personal etwas mehr Zeit, sich mit den Bewohnern zu unterhalten, die gerade an den Feiertagen ein höheres Redebedürfnis haben.

Sie erzählen alte Geschichten von Weihnachten vor Jahrzehnten und sind oft betroffen, wenn der Sohn oder die Tochter den Besuch zu Weihnachten absagt. Über die Feiertage herrscht eine ganz besondere Stimmung: Es ist deutlich ruhiger und selbst demente Bewohner spüren, dass es etwas besinnlicher zugeht und nehmen diese Stimmung auf.

Ein prägendes Erlebnis hatte ich in meiner Ausbildungszeit. Eine bettlägrige Dame, die aus einer Pfarrersfamilie stammte und deren Cousin ein Leipziger Pfarrer war, der in Leipzig zu den Montagsdemo während der Wendezeit aktiv war, hatte in einem lichten Moment mitbekommen, dass gerade im Haus der Weihnachtsgottesdienst stattgefunden hatte.

Sie war schwerst dement, aber sobald man einen Vers oder Psalm anstimmte, kam der Rest strophenweise aus ihr leise, aber textsicher raus gesprudelt. Ein echtes Phänomen, dass wir Pfleger erleben durften. Da sie am Weihnachtsgottesdienst nicht teilnehmen konnte, war sie merkbar traurig.

So passte ich den Pfarrer auf dem Gang ab. Er schaute kurz auf seine Taschenuhr und nahm sich eine Viertelstunde Zeit für die Dame. Danach suchte er mich noch kurz auf, um sich bei mir zu bedanken. Ich konnte nur vermuten, was in diesen 15 Minuten passiert war, aber zum Abendbrot bedankte sich die Dame auch bei mir und lächelte, wie sie es nur selten tat.

Abschließend ist zu sagen, dass ich Familie habe, aber keine eigenen Kinder. Deshalb ist es an den Feiertagen für mich nicht schwer so wie dieses Jahr sechs Tage am Stück über Weihnachten zu arbeiten. Es gibt diese unglaublich erfüllenden Momente und Geschichten, die man nur zu Weihnachten in einer Pflegeeinrichtung erleben kann.

Dies klingt alles nicht spektakulär, aber wenn die Menschen, die einen manchmal zur Verzweiflung bringen, etwas zurückgeben, ist das der erfüllendste Lohn für soviel Stress im Alltag.

Mattes

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