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Was bedeutet es, Jesus Freak zu sein? (5/19)

Gesammelte Antworten auf eine alte Frage

Gefühlt beschäftigen wir uns alle zwei, drei Jahre mit dem Thema Identität. Wer sind wir als Jesus Freaks? Was macht die Jesus-Freaks-Bewegung aus? Was unterscheidet uns von anderen Christen?

Niemand kann die Jesus-Freaks-Identität eindeutig definieren, weswegen wir die Fragen in die Runde geworfen haben. Als Redaktion wurden wir von der Menge der persönlichen Antworten überrascht. Vielen Dank an alle, die mitgemacht haben. Einige bezeichnen sich als Jesus Freaks, andere stehen der Bewegung nahe und besuchen z.B. Fʀᴇᴀᴋꜱᴛᴏᴄᴋ, wieder andere haben sich von der Bewegung entfernt. Dennoch sind sie sich in etlichen Schlagworten und Beschreibungen einig. So nähern wir uns dem, was es bedeutet Jesus Freak zu sein.

Annahme

Der vielleicht größte Anziehungsfaktor bei den Freaks ist das Gefühl der Annahme: „Insbesondere auf dem Fʀᴇᴀᴋꜱᴛᴏᴄᴋ sieht man immer noch, dass man als von Gott geliebter Mensch angenommen wird, egal aus welcher Ecke der Gesellschaft man kommt.“ Das beinhaltet den oft wiederholten Satz „Jeder kann so kommen, wie er ist.“, der aber nicht zur Phrase verkommen ist, sondern eine positive Grundhaltung ausdrückt. Du musst dich nicht verbiegen, um Jesus zu folgen oder Teil unserer Gemeinschaft zu sein. Natürlich birgt das auch die Gefahr, „dass wir nicht „mega-heilig“ leben, aber ich denke, uns ist es wichtiger, die Schwelle niedrig zu halten, dass Leute sich angenommen fühlen und wenn Leute Jesus erst mal gefunden haben, kann er mit ihnen an bestimmten Themen arbeiten, die Veränderung brauchen.“ Das kann dazu führen, dass es „in jeder Gemeinde so ein paar schwierige oder kaputte Leute gibt, aber weil es viele andere Leute gibt, kann das gut mitgetragen werden.“ Vielleicht sind Freaks deswegen „stark im Kommunizieren und viele wissen gar nicht, was für enorme Fähigkeiten sie haben.“ Und natürlich geht „der Versuch jedem gerecht zu werden, immer mal schief“, aber wir wollen es zumindest versuchen.

Gemeinschaft

Aus der Annahme von „vielen unterschiedlichen Menschen, die echt und unperfekt sind, Jesus lieben und ihm folgen“, entwickelt sich eine Gemeinschaft, deren „Zusammenhalt von Herzen und über Beziehungen bestimmt“ ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass „ich mich wie in einer großen Familie fühle, mit allen Vor- und Nachteilen.“ „Hier gibt es die gleichen problematischen Entwicklungsprozesse wie in anderen Gemeinden, die gleichen Fragen und Krisen und es läuft nicht immer alles rund, aber im Grunde läuft alles auf Augenhöhe und über Beziehungen.“ Das erstreckt sich nicht nur auf die zwischenmenschliche, sondern auch die geistliche Ebene: „Für mich bedeutet es, mit anderen Menschen und Jesus dabei Gemeinschaft zu haben, wo ich mich – in der Regel leichter als woanders – nicht dafür entschuldigen muss, wie mein persönlicher Gottesdienst aussieht.“

Authentizität

Das Empfinden, angenommen und Teil einer Familie zu sein, ermöglicht es frei zu sein und die Masken fallen zu lassen. Dann hat „die Gemeinschaft eine unwahrscheinliche Qualität, weil man viel mehr von dem mitbekommt, wie der andere in echt ist.“ Für viele ist diese Echtheit eine Grundeigenschaft der Freaks: „Diese Authentizität: Das ist für mich irgendwie die Basis, diese Ehrlichkeit des Seins. Hier muss man niemanden etwas vormachen oder eine Norm erfüllen, hier muss nicht immer alles nach Plan laufen.“ „Es bedeutet für mich, dass ich das, was mich als Person ausmacht mit meinem Glauben zusammenbringen kann, ohne von anderen in vorgefertigte Formen gepresst zu werden. Und es ist unglaublich befreiend bei den Freaks mit anderen „ungepressten“ Leuten zusammen sein zu dürfen.“ Die Toleranz für Abweichungen, Eigenheiten und Fehler sollten wir uns auf jeden Fall erhalten und nicht versuchen ein glatte, fromme Fassade zu errichten.

Kreativität

Nach außen wurden die Freaks vor allem durch ihr schrilles Äußeres, provokante Aktionen und ihre Musik bekannt. Manche gehen soweit und sagen, die Jesus-Freaks-Bewegung „hat damals die christliche Kirche ein Stück weit revolutioniert. Das was heute in den Gemeinden normal ist. Lobpreis mit Schlagzeug, E-Gitarre … ist auch ein Verdienst der Jesus-Freaks-Bewegung.“ Stilistisch ist das ein weites Feld: „Freaks lieben oft härtere Musik und Songwriter-Stuff und Folk und Beats.“

Der Drang kreativ zu sein, ist ungebrochen, weil „Kunst und Musik eine wiederkehrende große Rolle in der Bewegung spielen.“ Dabei geht es weniger um einen Wohlfühleffekt, sondern, um „eine Ehrlichkeit die ihresgleichen sucht. Ein Lied wie „When darkness falls and surrounds me” wird man in keiner Neo-Happy-Church finden.“ Oder anders ausgedrückt: Freaks haben ein Glaubensleben, dass „nicht gekünstelt, aber künstlerisch und pädagogisch wertvoll“ ist.

Besonders auf Fʀᴇᴀᴋꜱᴛᴏᴄᴋ zeigt sich „wie unterschiedlich Leute begabt sind, das ist gigantisch! Und zusammen bauen wir ein geiles Festival!“ Auch die Freak-Gemeinden unterscheiden sich von anderen dadurch, was es dort gibt: „Viele äußerlich bunte Menschen, Hunde im Gottesdienst, des öfteren interessante Gemeindelocations, viel Kreativität …“

Vielfalt

In Sätzen wie „Unterschiedliche Vorstellungen und Lebenswelten können nebeneinander existieren, weil jeder in seiner Einzigartigkeit Anerkennung findet.“ und „Jede Gruppe ist unterschiedlich, einzigartig und darf das auch sein.“ kommt die viel beschworene Einheit in Vielfalt zum Ausdruck. Das ist in der Realität schwierig auszuhalten, aber ein wichtiges Merkmal der Jesus-Freaks-Bewegung: „Konservative und liberale Haltungen finden einen gemeinsamen Raum des Kennenlernens, Irritierens, Aushandelns, Ringens und Gemeinsam-Gott-Suchens. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, ist aber etwas, was man anderswo noch viel weniger vorfindet und ist deshalb wertvoll.“

Freiheit im Glauben

Keine Dogmen zu haben, mag in mancher Hinsicht übertrieben sein, scheint aber tief im Selbstverständnis der Freaks verankert zu sein: „Ein Jesus Freak verzichtet auf jahrhundertealte Dogmen, die ihn dabei einengen, Jesus-Dinge zu tun.“ Was eigentlich damit gemeint ist, trifft diese Aussage besser: „Außerdem wird man als Christ selbstbestimmter und selbstwirksamer erzogen als in manch anderen Gemeinden, in denen unterschwellig Obrigkeitshörigkeit gefordert wird und man innerhalb des gewohnten Apparates keine Verantwortung für sein Leben, auch geistliches, übernimmt.“

Auch die Behauptung „Es gibt keine Hierarchie, keinen Leiter, dem man folgen kann, sondern jeder muss sein eigenes Glaubensfundament aufbauen.“ trifft angesichts von Gemeinde- und Regioleiter*innen sowie Leitungskreis und Bewegungsleitungsteam nicht ganz zu. Aber es stimmt schon, man kann Jesus Freak mit Leitung, ohne Leitung und sogar trotz Leitung sein. Viele bezeugen daher: „Jesus Freak bedeutet für mich Freiheit im Glauben.“

Bewusstsein für Ungerechtigkeit

„Zur Zeit vermischt sich Glaube und Politik in unserer Bewegung. Ich finde es super, weil wir als Christen und als Jesus Freaks Kante zeigen sollten.“ Diese Vision steht bereits in der Cʜᴀʀᴛᴀ unter dem Punkt „Wir wollen der Gerechtigkeit nachjagen“ und ist damit kein neues Anliegen. Für manche beruht es auf einem „intensiven Bewusstsein für Ungerechtigkeit“ und drückt sich z.B. so aus: „Freak zu sein heißt für mich auch, mich nicht vor Schwierigkeiten zu ducken, sondern aufzustehen und drauf zu vertrauen, dass meine Hoffnung real ist und dass Jesus nicht umsonst lebt.“

Offenheit

Vielleicht ist es gerade das, was wir hier machen – uns zu fragen, wer und was wir sind – ein Merkmal der Jesus-Freaks-DNA: „Freaks sind nicht statisch, sondern entwickeln sich und hinterfragen Bestehendes.“ Ziel ist es dabei nicht, einen neuen Style zu kreieren, sondern den Mut zu haben „… sich immer wieder neu die Frage zu stellen, was relevantes Christsein heute bedeutet.“

Obwohl sich die Jesus Freaks 2008 eine Cʜᴀʀᴛᴀ (siehe unten) gegeben haben, heißt das nicht, dass Dinge ein für allemal festgeschrieben sind. Im Gegenteil; bereits in dieser Cʜᴀʀᴛᴀ wird aufgerufen: „Wir wollen dazu ermutigen, Neues auszuprobieren und Kreativität in allen Lebensbereichen zu leben.“ Das ist die Grundlage für „die Offenheit, Kirche neu und anders zu denken.“ Dahinter steckt die Erfahrung, was die Jesus Freaks einst auszeichnete: „Dinge ganz anders und neu und unkonventionell zu denken, zu glauben und zu machen. Leider wird davon in meinem Erleben nur sehr wenig Gebrauch gemacht, was ich persönlich echt schade finde und mir wieder mehr wünschen würde.“

Was fehlt?

Der letzte Punkt enthält bereits die Fähigkeit zur Selbstkritik und so müssen sich Jesus Freaks auch die Frage gefallen lassen, wo sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden sind. Eine Person formuliert es so: „Als ich vor gut 25 Jahren die Bewegung Jesus Freaks kennen gelernt habe, haben mich ein paar Dinge sehr angesprochen, tief drinnen. 1. Annahme. 2. Ehrlichkeit. 3. Begeisterung für Jesus. Aus meiner Sicht und Erfahrungen, die ja sehr individuell und subjektiv sind, ist DAS alles über die Jahre verloren gegangen.“

Ein anderer wünscht sich „Gemeinde sollte meiner Meinung nach viel weniger von oben herab kontrolliert werden und wesentlich Netzwerk-orientierter sein als das heute häufig der Fall ist.“
In eine ähnliche Richtung geht die Kritik an einer Struktur, die „in bestimmten Kreisen eher Türen zumacht als öffnet.“ Und auch wenn sich dieser Mensch „den Jesus Freaks nach wie vor zugewandt und verbunden“ fühlt, bedeutet Jesus Freaks für ihn „auch Gegenentwürfe zu den Freaks zu finden, da wo ich merke, dass es Aufträge und Anliegen von Jesus gibt, die im Rahmen der Jesus Freaks nicht möglich sind, gelebt zu werden.“

Noch krasser klingt diese Antwort: „Vielleicht braucht die Bewegung auch den Mut, sich irgendwann gezielt aufzulösen, weil manche Ziele erreicht sind (z.B. werden schwarz ­gekleidete Leute mit Tattoos im Gottesdienst nicht mehr kategorisch als Satanisten eingestuft). Andere Ziele werden vielleicht mittlerweile in anderen Initiativen besser erreicht oder könnten dorthin von Freaks mitgebracht werden und in was Neues verwandelt werden.“

Die Untergangsfantasie braucht aber niemanden zu schrecken, denn sie wurde an vielen Stellen schon verwirklicht, ohne dass die Jesus-Freaks-Bewegung aufgelöst wurde. Viele Menschen waren einst bei den Freaks und wirken nun in anderen Gemeinden, Projekten und Gemeinschaften mit. Dabei ist es egal, ob sie Lutheraner zum spontan gesprochenen Gebet ermutigen, bei den Baptisten die Stuhlordnung durcheinander bringen oder beim Elternabend für eine Konsenslösung eintreten. Das Jesus-Freaks-Sein steckt folglich tiefer in uns drin als uns manchmal lieb ist und lässt sich nicht so leicht abschütteln. Denn das ist unser Kern, „die ursprüngliche Idee, jedem Menschen mit der Liebe Jesus zu begegnen“.


Bettina Kammer ist und bleibt Jesus Freak mit aller Kritik, die sie an der Jesus-Freaks-Bewegung hat.

Die Zitate stammen aus der Online-Umfrage im November 2019. Sie wurden ggf. sinnwahrend gekürzt und grammatikalisch angepasst.

Die Cʜᴀʀᴛᴀ der Jesus Freaks kannst du auch herunterladen oder bestellen.

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