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Vielleicht erstmal sich selbst evangelisieren (3/19)

Impuls zum Jahresthema “Living Hope – Glauben leben. Hoffnung wecken.”

Ich mag das Wort „evangelisieren“ nicht. Für mich klingt es künstlich. Wie ein To-Do, das sich irgendwie außerhalb von mir befindet und nun in meinen Lebensalltag integriert werden will. Ein in sich abgeschlossenes Bauteil des Christentums mit klaren Instruktionen, quasi vorformuliertem Text und konkreten Erwartungen: von Jesus erzählen, von Sünde und Buße und dann – voilà – neues Leben. Hier sieht das christliche Drehbuch die Transformation eines jeden Menschen zum Musterchristen vor. Sichtbare Veränderungen bitte, „Evangelisation“ ist immerhin ergebnisorientiert.

Ich übertreibe. Nicht um zu provozieren, sondern um diesen Baustein mal mit ein bisschen Distanz zu betrachten und dessen gewohnte Bedeutung infrage zu stellen. Mir wurde dieses Evangelisationsding von klein auf nahegebracht und der Inhalt schien dabei immer sehr klar. Das Ziel: mehr Menschen zu Christen machen. Der Grund: Das steht als Missionsbefehl so in der Bibel, das sollen wir machen, man dient damit Gott. Beide Aussagen finde ich irgendwie richtig, bloß frage ich mich, ob man da gedanklich nicht auf halber Strecke stehen geblieben ist. Wenn mein Motiv lautet, mehr Christen zu produzieren und damit Gott zu dienen, behandle ich das Christsein und den Missionsauftrag so als seien sie Selbstzweck. Ich glaube aber, dass das Evangelium kein Selbstzweck sein kann. Es würde ja auch niemand sagen, dass Gott seinen Sohn ans Kreuz hat nageln lassen, weil das für sich betrachtet nun mal eine gute Sache war. Nein, das ist Konsens, das hat er aus Liebe zu uns getan. Der Grund für das Evangelium lautet für den Menschen. Wenn wir nun denken, dass wir für Gott evangelisieren sollen, müssen wir da ganz tüchtig was verdreht haben. Der Urgedanke des Evangeliums ist ja unser aller Wohl – das Ziel aller Evangelisation muss folglich das Wohl unseres Gegenübers sein. Ich merke, dass das Bild von einem Gott, dessen Herz tatsächlich für uns Menschen schlägt, im Gewusel christlicher Themen und Diskussionen meines Schutzes bedarf. Es wird schnell überlagert und will immer wieder freigeräumt und in das Zentrum aller Gedanken gestellt werden.

Menschliches Leistungs- und Bewertungsdenken schleicht sich meiner Erfahrung nach auch gerne in das Verständnis christlicher Vokabeln und breitet sich unbemerkt darin aus. Das ist tückisch. Denn die verinnerlichten Bedeutungen dieser Vokabeln beinhalten eine dahinterliegende Theologie, sie drücken unbewusst ein Gottesbild aus. Wenn ich mir anschaue, was für antrainierte Gefühle die Worte „Sünde“, „Buße“ und „Bekehrung“ in mir auslösen, könnte man fast meinen, Gottes Hauptinteresse sei Moral und Korrektur. Was wäre das für eine merkwürdige und unemotionale Fortsetzung der Evangeliumsgeschichte. Was für eine abwegige Idee, dass dieser sich hingebende Gott sich vor allem um oberflächlichen Gehorsam statt um unsere existenziellen Bedürfnisse sorgt. Unser Auftrag lautet nicht Korrektur, sondern Trost. Es ist ja auch nicht von dem einen bösen Schaf die Rede, dem Jesus hinterhergeht, sondern von dem verlorenen. Vom verlorenen Sohn. Von einem Gott, der gekommen ist, „zu suchen und selig zu machen, das verloren ist“ (Lukas 19,10). Zu evangelisieren bedeutet in diesem Sinne, Menschen, die sich in diesem Leben verloren fühlen, ein Zuhause zuzusprechen. Die Hoffnung auf einen Sinn in diesem Dasein wiederzubeleben.

Evangelisation ist also ein Dienst der Nächstenliebe. Als religiös geprägte Menschen dürfen jedoch gerade wir uns der Gefahr bewusst sein, unser erlerntes Weltbild über das Wohl unseres Nächsten zu stellen. Jesus hat mit seiner radikal ausgelebten Nächstenliebe immerhin schon damals zu gerne gerade die Horizonte seiner religiösen Lebensgenossen gesprengt – warum sollte das heute anders sein? Es kann uns auf jeden Fall nicht schaden, unser Gottesbild, unsere Vokabeln und Motivationen auf den Prüfstand zu stellen. Unseren Blick im Sinne eines liebenden Gottes auch auf uns selbst weiten zu lassen und uns gegebenenfalls immer wieder erstmal neu selbst zu „evangelisieren“.


Lisa befindet sich zurzeit in der Endphase ihres Masterstudiums der Psychologie. Sie ist seit 6 Jahren bei den Jesus Freaks in Münster zuhause und hat dort vor 2 Jahren mit dem Predigen begonnen. Auf dem Freakstock 2019 hat sie zu dem Thema dieses Artikels einen Workshop gehalten.


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Photo by Gift Habeshaw on Unsplash

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