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Trauer passiert, wie sie eben passiert (1/19)


Anregungen für eine neue Trauerkultur (Teil 2)

Nach dem Tod meines Mannes habe ich ganz oft den Satz gehört: „Ich kann mir nicht vorstellen (oder: mich in Dich hineinversetzen, mich einfühlen), was Du durchmachst.“ Das habe ich immer so verstanden, dass man mir damit Respekt zeigen wollte, dass meine Trauer als sehr groß betrachtet und nicht banalisiert werden sollte. Dieser Respekt ist auch wichtig, denn für Trauernde ist es nicht schön, wenn ihnen das Gegenüber mit falschem Verständnis zu nah auf die Pelle rückt.

Aber um Menschen zu verstehen, können wir mit Hilfe unserer Empathie und Vorstellungskraft versuchen, uns in sie hinein zu versetzen. Das ist eine großartige Fähigkeit, die für gute Beziehungen wichtig ist. Die Grundlage dafür ist, das Gegenüber erstmal einfach nur wahrzunehmen, da zu sein, zuzuhören und nicht unnötig zu bewerten bzw. mit uns selbst oder anderen zu vergleichen. Falls das jetzt Druck macht: Das soll es nicht! Wir können und wollen ja gar nicht in jede Begegnung so tief einsteigen, dass wir über Persönliches im Vertrauen sprechen. Oder anders gesagt, wir müssen nicht gleich mit dem Menschliche-Nähe-Hunderter bezahlen, es hilft meistens schon, wenn wir uns ein bisschen Respekt-Kleingeld zustecken. Deshalb will ich versuchen, Euch hier das Innenleben und das Verhalten von Trauernden etwas zu beschreiben – anhand dessen, was ich selbst erlebt habe.

Ich habe eine Freundin, die ich schon lange kenne und die mir sehr nahe steht. Sie selbst hat vor einigen Jahren einen ihrer wichtigsten Menschen verloren und intensiv getrauert. Nach Storchs Tod sagte sie mir immer wieder: Trauer passiert, wie sie eben passiert. Meine Freundin meinte damit, dass viele verschiedene Gefühle, Gedanken und Reaktionen in der Trauer möglich sind; und dass man sie kommen und gehen lassen sollte, wie sie kommen und gehen. Das ist ganz individuell. Die meisten Menschen aus dem Umfeld des Verstorbenen trauern, aber jeder anders. Das hängt nicht zwangsläufig damit zusammen, wie sehr man denjenigen geliebt hat. Es gibt kein richtiges oder falsches Trauern. Es gibt hilfreiche und schädliche Möglichkeiten, mit sich selbst umzugehen, aber selbst die kann man nicht immer steuern. Oft fehlt einem die Kraft, der Wille oder die Weisheit dazu. Und: Trauer dauert so lange, wie sie eben dauert. Sie wird sich verändern, und das Gute kann wieder ins Leben zurückkehren, auch wenn es lange Zeit so aussieht, als wäre es aus der Welt verschwunden.

Trauernde sind meistens sehr verletzlich, egal, wie sie sich öffentlich geben. Ich selbst habe mich als „rohes Ei ohne Schale“ beschrieben und mich total wehrlos und angreifbar gefühlt. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, trotzdem hatte ich ein Gefühl wie in einem Raumanzug voller Watte zu stecken und alles nur gedämpft wahrzunehmen. Ich habe alles und nichts gleichzeitig gefühlt. Es war viel zu viel. Manchmal konnte mein Umfeld das sehen, manchmal nicht. Ich habe mitbekommen, dass nicht jeder nachvollziehen konnte, was in mir vorging und wie ich mich verhielt.

In trauernden Menschen laufen starke emotionale und physische Reaktionen ab. Gerade die psychosomatischen Beschwerden, also die körperlichen Symptome der seelischen Prozesse, können heftig sein. Die ausgeschütteten Stresshormone beeinträchtigen den Schlafrhythmus, die Verdauung, das Immunsystem oder die Muskulatur und Beweglichkeit. Ich bin seit Storchs Tod insgesamt nicht mehr so stark und belastbar wie vorher, bin viel schneller erschöpft und müde. Kann gut sein, dass ich nie wieder die gleiche Leistungsfähigkeit wie vorher erreiche. Es war nicht leicht, mir das einzugestehen und damit zu leben.

Außerdem sind Trauernde unglaublich bedürftig, aber diese Bedürfnisse können nicht gestillt werden, weil sie ja mit der verstorbenen Person zusammenhängen. Trauernde suchen krampfhaft nach Linderung, die sie aber nicht finden können. Darauf reagieren sie mit Depressionen, psychosomatischen Krankheiten, Ersatzbefriedigung, Verdrängung, Gefühlsausbrüchen, Aktionismus … Irgendetwas, nur um den Schmerz wenigstens kurz loszuwerden und zurückzukehren in die Zeit, als noch alles gut war. Das kann von außen betrachtet unvernünftig oder sogar schädlich wirken. An dieser Stelle ist es wichtig, der Person mit Respekt zu begegnen: Wie gut kann ich einschätzen, was mit ihm/ihr los ist? Kenne ich ihn/sie so gut, dass ich etwas dazu sagen darf? Würde es an dieser Stelle überhaupt helfen, oder muss ich darauf warten, dass er/sie sich von selbst wieder fängt?

Leider kann man oft „nichts“ tun. Ich habe gemerkt, dass es für meine Freunde schwer war, diese Hilflosigkeit auszuhalten. Sie konnten mir meine Last nicht abnehmen. Aber es hat mir geholfen, dass sie da geblieben sind und mir nicht ausgewichen sind oder mich gemieden haben. Sie haben mich ausgehalten und mitgeschleift, als ich selbst nicht gehen konnte. Manchmal konnten sie nur mit Abstand mit mir gehen, weil ich so vieles mit mir selbst ausmachen musste. Und all das war das Wichtigste und Beste, was meine Freunde für mich tun konnten, und dafür werde ich ihnen ewig dankbar sein.


Alexandra Schmelzer war 17 Jahre lang mit Carsten »Storch« Schmelzer verheiratet. Fragen zum Artikel und zum Leben mit Trauer darf man ihr gerne an ↗ schicken.


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Photo by Kristina Tripkovic on Unsplash

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