Die „Villa Wertvoll“ (4/19)
„Ich wusste nicht, dass es solche Schönheit in Magdeburg gibt!“
So kommentierte ein indischer Kumpel meine letzte größere Feier im Garten vor ein paar Wochen. Auf der Hollywoodschaukel, unterm Apfelbaum und am Lagerfeuer saßen etwa fünfzig Menschen, die der verträumten Songwritermusik eines Freundes lauschten. Anschließend Party. Einzig der Anlass war etwas ungewöhnlich: Ich feierte mein 10-jähriges Taufjubiläum.
Damals war ich 16 und die Taufe markierte einen großen Wendepunkt in meinem Leben. So wichtig, dass ich zehn Jahre später das genaue Datum noch kenne. Zur Erklärung des Anlasses erzählte ich den Partygästen kurz gefasst folgendes:
„Als Schüler kämpfte ich mit meinem Selbstwert. Ich war einer von diesen coolen Hiphoppern und ein ziemliches Arschloch. Ich versteckte meine Unsicherheit hinter XXL-Hiphop-Klamotten, Psychocore-Rap und dem Fertigmachen von Mitschülern. Es war ein schwieriger innerer Prozess, in dem ich mich für ein Leben mit Gott entschied. Mit der Taufe erlebte ich dann zwei Dinge: Zum einen Vergebung für die Schuld, Klassenkameraden gemobbt zu haben. Ich bekam dadurch ein unglaubliches Gefühl von Freiheit, blickte anders auf meine Mitschüler und hing von da an auch mit Außenseitern rum. Zum anderen erlebte ich, dass Gott mich persönlich liebt. Und ich begriff: Wenn selbst der allmächtige Gott mich so liebt, wie ich bin, dann werde ich mich wohl auch selbst akzeptieren können. Ich verstand von da an, dass ich wertvoll bin. Mein Selbstwertgefühl stieg und ich ging das Leben viel positiver und mutiger an.“
Diese persönliche Geschichte verdeutlicht ziemlich genau, warum mir wichtig ist, was wir in Magdeburg anpacken. Am Ende des Konzerts ging ein Hut rum als Spende für die „Villa Wertvoll“. Denn für die „Villa Wertvoll“ ist genau das unsere Vision: Kinder und Jugendliche sollen erleben, dass sie wertvoll sind. Wir haben also geplant und gemacht, Verbündete gesucht, Konzepte und Anträge geschrieben und gebetet. Dann eine alte Villa im Brennpunkt gemietet und renoviert. Wir haben einen Tanzsaal, einen Theaterraum und ein Tonstudio eingerichtet. Schließlich wurde eine große Eröffnung gefeiert. Immer mit dem Ziel, dass Kinder und Jugendliche in der „Villa Wertvoll“ ihren Wert erkennen können.
Das war vor genau einem Jahr. Seitdem haben wir über 500 Schulkinder mit ganz viel Wertschätzung in unseren kostenlosen Musik-, Tanz- und Theaterkursen empfangen. Denn die aufbauenden und haltgebenden Beziehungen zu den Mitarbeitenden sind ein wichtiger Teil auf dem Weg zu unserer Vision. Der andere ist, dass die Kinder und Jugendlichen erleben, dass sie etwas drauf haben. Sei es einen Rap, eine Tanzchoreographie oder ein Theaterstück zu schreiben und aufzuführen. Auch im Entdecken und Entwickeln der eigenen Talente erleben die Kids, wertvoll zu sein.
Gerechtigkeit
Wir haben bewusst die „Villa Wertvoll“ im Stadtteil Neue Neustadt eröffnet. Denn hier leben viele Kinder in finanzieller und sozialer Armut, die sonst kaum die Möglichkeit hätten, künstlerische und kreative Angebote zu nutzen.
Gott gibt im 3. Mose 25,50 den Israeliten das Gesetz, dass verkauftes Land nach spätestens fünfzig Jahren zurückgegeben werden musste. Land war damals das wichtigste Gut für die Menschen. Wer Land besaß, konnte frei leben und sich und seine Familie ernähren. Wer so schlecht gestellt war, dass er sein Land verkaufen musste, arbeitete quasi als Sklave auf dem Feld eines anderen. Dieses sogenannte Erlassjahr war ein wirksames Mittel, Armutsspiralen zu durchbrechen. Jede Generation hatte mindestens einmal die Chance, von vorne zu beginnen.
Das Gegenteil von Armut
Das wichtigste Kapital ist heute nicht mehr „Land“ und auch Geld ist nicht das ultimative Mittel. Es gibt viele reiche Menschen, die zugleich sehr einsam sind. Und auch bei einer finanziellen Notlage gibt es in Deutschland Hilfen für alles Mögliche, wenn man nur wüsste, wie. (Da ist der Haken.) Wie lassen sich also Armutsspiralen in unserer Gesellschaft durchbrechen?
Ich wage die These, dass dieses wichtigste Gut die „Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe“ ist. An meinem Schrank habe ich ein Zitat stehen, dessen Urheber ich beim besten Willen nicht mehr finde. Es lautet: „Das Gegenteil von Armut ist Gemeinschaft.“ Geschätzter Teil einer Gemeinschaft – und damit letztlich der Gesellschaft – zu sein, schützt vor Einsamkeit, Sinnlosigkeit und Existenznöten. Es ermöglicht, eigene Stärken und Identität zu entdecken. Die Grundlage dafür ist jedoch Vertrauen. Vertrauen in sich selbst, Vertrauen zu anderen Menschen, Vertrauen zu Gott.
Kinder sollen unabhängig von ihren Startbedingungen Vertrauen in die Welt gewinnen. Sie sollen fähig sein, gesunde Beziehungen zu leben. Sie sollen echte Bildung erfahren dürfen und befähigt werden, positive Gestalter ihres Umfelds zu sein. In der „Villa Wertvoll“ möchten wir den Kindern und Jugendlichen des Stadtteils über die kreativen Workshops genau das bieten, damit im Einklang mit Gottes Herzen Armutsspiralen durchbrochen werden können. Nicht aus Mitleid, sondern aus dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Gerechtigkeit bedeutet, dass ALLE Menschen erleben dürfen, wie viel Schönheit es in ihnen und ihrer Stadt gibt. Und ich bin mir sicher, dass noch so viel mehr ganz ungeahnte Schönheit zum Vorschein kommen wird!
Alex Heinrich (26) ist Cultural Engineer, Fundraiser der „Villa Wertvoll“ und Händler für ökofaire Mode. Zum ersten Mal kam er mit den Jesus Freaks in Kontakt, als er ab 2012 mit ihnen zusammen die Veranstaltungsreihe „Church goes Pub“ in Magdeburg organisierte. Den Artikel schrieb er in seinem geliebten Schrebergarten.
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